„Mutig“ war meist die erste Reaktion, wenn ich erzählte, dass unser Sohn nicht in einem Krankenhaus sondern in einem Geburtshaus geboren werden soll.
Unerfahren wie man bei der ersten Schwangerschaft noch ist, hielten mein Mann Sebastian und ich uns an die Ratgeberliteratur und befassten uns erst im sechsten Monat der Schwangerschaft mit der Frage, wo unser Sohn zur Welt kommen sollte. Bei der Internetrecherche über die Kliniken in Bielefeld stieß ich auch auf die Seite des Geburtshauses. Zunächst konnte ich mir nicht vorstellen, wie dort eine Geburt abläuft. Doch die Berichte von den jungen Müttern hier zeigten mir, dass eine Geburt im Geburtshaus genau das Richtige für mich ist. Beim Informationsabend stand für uns fest, dass wir uns hier anmelden wollten. Die freundliche Atmosphäre der Räume, die Philosophie der Hebammen über die Geburt und die erste Zeit danach, die für das Baby so wichtig ist, gefielen uns gut. Wir erfuhren auch, dass ich bei Komplikationen während der Geburt in wenigen Minuten im Franziskus Hospital wäre. Aber Meike musste uns mitteilen, dass für den Monat September schon zu viele Geburten angemeldet waren und für mich kein Platz mehr war. Das machte uns sehr traurig und ärgerlich auf die Ratgeber. Wir hätten uns schon zwei Monate eher darum kümmern müssen. Wenige Tage später rief Meike uns an, denn wir konnten nachrücken, da ein Platz frei geworden war. Wir waren so glücklich darüber.
In den nächsten Wochen lernten wir das Geburtshaus und das Team der Hebammen näher kennen. Die Vorsorgeuntersuchungen nahm ich abwechselnd bei meiner Frauenärztin und den Hebammen war. Der Geburtsvorbereitungskurs für Paare am Wochenende machte uns mit den Räumlichkeiten vertrauter. Wir fühlten uns dort stets wohl und angenommen, wie bei Freunden.
Sehnsüchtig warteten wir auf den Tag, den Fabian sich für seine Geburt ausgesucht hatte. Der errechnete Termin war schon sechs Tage überschritten. Mir ging es gut – zu gut – wie ich öfter sagte, denn ich hätte mich über Wehen inzwischen sehr gefreut. Ich wachte am Morgen mit leichten Bauchschmerzen (keine Wehen) auf und hatte so ein Gefühl von „Vielleicht heute“, dass ich nach dem Aufstehen aber wieder vergaß. Denn mein Gefühl hatte mich in den letzten Wochen schon mehrmals getäuscht. Nach dem zum Glück ausgiebigen Sonntagsfrühstück überlegten wir uns, wo wir unseren heutigen Sparziergang machen wollten, als um ca. 10.30 Uhr die ersten Wehen begannen. Sebastian notierte die Abstände. Als die Wehen alle 20 und dann alle 10 Minuten kamen, waren wir uns sicher, dass die Geburt an diesem oder dem folgenden Tag sein würde. Da ich dachte, dass ich an den ersten Tagen nach der Geburt sicher nicht duschen und die Haare waschen könnte, wollte ich dies nun unbedingt noch einmal tun. Ich entschied mich gegen die Dusche, weil ich dort im Stehen die Wehen nicht so gut veratmen könnte. Ich wusste zwar, dass sich Wehen in der Badewanne verstärken, rechnete aber nicht damit, dass das Bad so abenteuerlich würde. Die Wehenhäufigkeit verkürzte sich plötzlich auf alle 5 Minuten. Doch mit Shampoo im Haar konnte ich nicht mehr abbrechen. Das Bad dauerte nun länger als geplant, da ich nur in den kurzen Wehenpausen weitermachen konnte. Anschließend rief Sebastian die Bereitschaftsnummer der Hebammen an und hatte Anne am Telefon. Sie kam zu uns nach Hause, um zu schauen, wie weit sich der Muttermund schon geöffnet hatte. Da waren es 2 cm. Die Herztöne des Babys waren gut und bis auf die Wehen, die ich im Bett liegend nach und nach immer besser veratmen konnte, ging es auch mir gut. So konnte Anne wieder fahren. Wir würden uns wohl am Abend wieder sehen, meinte sie. Etwa eine Stunde später, kurz nach 15 Uhr waren die Wehen so stark, dass ich Sebastian bat, mir den Rücken zu massieren, wie wir es beim Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatten. Dazu kniete ich mich vor ihn, während er auf dem Pezziball saß. Kaum hatte er mit der Rückenmassage begonnen, platze die Fruchtblase mit einem lauten Platsch. In dem Moment war ich so froh, dass ich gerade das Bett verlassen hatte und meine Matratze so im Gegensatz zum Fußboden trocken geblieben war. Sebastian rief Anne an und teilte ihr die Farbe des Fruchtwassers mit. Es war alles in Ordnung. Doch wir sollten kommen, wenn wir uns zu Hause unwohl und unsicher fühlten. Ich konnte während des Telefonats noch nicht sagen, wie ich mich fühlte. Denn die Wehen hatten sich verändert. Statt eines Krampfes im Bauch spürte ich bei den Wehen nun einen starken Druck Richtung Po. Die Atemtechniken linderten den Schmerz nicht mehr und wir entschieden, ins Geburtshaus zu fahren. Ich wechselte schnell die Kleidung, da durch den Blasensprung alles nass war. Sebastian telefonierte ein drittes Mal mit Anne und schnappte sich die seit Tagen gepackte Geburtstasche und die Babyschale. Der Weg vom Schlafzimmer ins Auto war für mich zu lang und ich legte im Bad noch eine Zwischenstation ein. Über den Rand der Badewanne gebeugt, hielt ich die Wehe aus. Zu Sebastian sagte ich nur: „Ich glaube, ich schaffe das nicht.“ Er redete mir gut zu und machte mir Mut. Nachher stellte sich heraus, dass wir uns missverstanden hatten. Er dachte, ich schaffe es nicht, die Wehen auszuhalten. Doch in meinem Kopf ging der Satz weiter mit: „Ich schaffe das nicht mehr rechtzeitig ins Geburtshaus. Mir ist alles egal, ich kriege das Kind jetzt und hier, genau hier vor meiner Badewanne.“ Das war wohl die Phase 2, die kritische Phase, von der Lisa uns im Geburtsvorbereitungskurs erzählt hatte. Motiviert von meinem Mann schaffte ich dann doch noch den Weg ins Auto. Um etwa 15.30 Uhr fuhren wir los. Auf der Fahrt kniff ich die Augen und die Beine zusammen. Das Baby drückte bei jeder Wehe ins Becken und Richtung Po und ich hatte das starke Bedürfnis, dem Druck nachzugeben und zu pressen. Um 15.40 Uhr waren wir dann im Geburtshaus, wo Anne und Jule schon alles Nötige für uns vorbereitet hatten. Zum Anzünden der Kerzen und weiteren Verschönerungen des Raumes ließ Fabian ihnen keine Zeit mehr. Auch das bereits eingelassene warme Bad blieb ungenutzt. Ich lief gleich direkt in den Geburtsraum, ich kannte mich ja aus. Hier spürte ich die mir vertraute Geborgenheit und wurde innerlich ruhig. Anne sah schnell nach, wie weit sich der Muttermund inzwischen geöffnet hatte und sagte mir, was ich längst wusste: „Du bekommst jetzt dein Kind.“ Ich nahm eine liegende Position auf dem Bett ein. Anne setzte sich zu meinen Füßen, um dem Baby einen sicheren Empfang zu bereiten und meinen Körper zu unterstützen. Denn Fabian drückte so stark ins Becken, dass mein Gewebe gar nicht so schnell mitkam. Sebastian setze sich hinter mich, um mir im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zu stärken. Bei jeder Wehe drückte ich seine Hand, um den Schmerz zu verlagern. Jule setzte sich zu mir auf die Bettkante, gab mir Anweisungen und half mir, richtig zu atmen. Ich schaute immer nur in Jules Gesicht und machte nach, was sie mir vormachte. Mit „uff, uff, uff“ und „papapapapa“ ließen sich die Wehen besser aushalten. Richtig blöd fand ich nur, wenn sie sagte: „Jetzt nicht pressen.“ Denn Anne gab alles, um mein Gewebe elastischer zu massieren. Sie musste Fabian sogar einmal mit der Hand am Kopf stoppen, so eilig hatte er es. Wie erlösend war es, als Jule nach einem Blickaustausch mit Anne zu mir sagte: „Bei der nächsten Wehe kräftig pressen.“ Und dann, um 16.15 Uhr, spürte ich, wie Fabian aus meinem Körper glitt. Der Schmerz war weg und ich fühlte mich zugleich glücklich leicht und sehr erschöpft. Ich sank zurück in die Kissen und atmete erst einmal durch, wusste ich doch, dass Fabian in Annes Arme geglitten und somit in guten Händen war. Dann wurde Fabian mir auf die Brust gelegt und wir beide wurden mit warmen Decken zugedeckt. Sebastian legte sich neben uns. So verbrachten wir ganz besondere Minuten und gewöhnten uns aneinander. Mit meinem vertrauten Herzschlag und unseren Stimmen, die er so ähnlich schon aus dem Mutterleib kannte, erholte sich Fabian schnell von dem Schreck der Geburt. Und schon wenige Minuten später konnte ich ihn zum ersten Mal stillen. Für Sebastian war es ein besonderer Moment, als er die Nabelschnur durchschneiden durfte. Noch als ich Fabian kuschelnd im Arm hielt, nähte Anne meinen Damm. Es war ein Riss entstanden, weil mein Gewebe mit Fabians Tempo nicht mithalten konnte. Nach unsere Kuschel- und Kennlernzeit wurde Fabian untersucht und Sebastian sah zu. Ich erholte mich noch auf dem Bett. Mein Kreislauf war nicht stabil. So bereiteten uns Jule und Anne erstmal eine Suppe zu, damit ich wieder zu Kräften kam. Doch mein Kreislauf erholte sich nicht. Als beim Abduschen der Beine und des Unterleibs in der Badewanne ein großer Brocken Nachblutungen abging, fiel ich sogar kurz in Ohnmacht. Während Anne, Jule und Sebastian sich um mich kümmerten, lag Fabian ruhig auf dem Bett, als hätte er gespürt, dass nun seine Mama die drei brauchte. Zur Sicherheit riefen Anne und Jule einen Krankentransportdienst an, der mich im Rollstuhl sitzend nach Hause bis an mein Bett brachte. Fabian fuhr mit seinem Papa im Auto.
Zu Hause legten wir Fabian ins Snugglenest in unser Bett. Glücklich betrachteten wir unseren Sohn. Gemeinsam überlegten wir, wie wir ihm die Angst vor der neuen Umgebung nehmen konnten. Wir wählten für die Nacht eine sanfte Beleuchtung und machten leise Musik an.
Fabian wurde durch Euch so herzlich und warm auf dieser Welt empfangen. Wir danken Euch für dieses besondere Erlebnis und kommen wieder, wenn sich in den nächsten Jahren Fabians Geschwisterkind ankündigt.
Natalia Stuphorn schrieb am :
Ich habe es gerne gelesen, da ich zwei Tage später an dem Platz meine Tochter Ella geboren habe! Mit hilfe von Meike und Julia. Euch alles Gute! Natalia.