Nachdem ich die Homepage des Geburtshauses zum ersten Mal besucht hatte, rief ich sie die gesamte Schwangerschaft über mehrmals wöchentlich auf und hoffte auf neue Geburtsberichte. Die alten hatte ich schnell alle gelesen. Nun ist es längst überfällig, dass ich selber einen Bericht schreibe.
Meine Schwangerschaft war normal und gut verlaufen und ich fieberte dem ET entgegen. Es war mir zwar klar, dass unsere Tochter wahrscheinlich nicht zu den 4% gehören würde, die am ET zur Welt kommen, aber irgendwie bedeutete der Tag trotzdem eine magische Grenze. Mein ganzes Umfeld fieberte schon intensiv mit, täglich fragten mehrere Personen nach, ob denn immer noch nichts passieren würde und ich selber horchte ganz aufmerksam in mich hinein in der Hoffnung, irgendeine Veränderung zu bemerken. Aber es tat sich nichts. An ET+3 war ich noch mal bei der Ärztin, die zwar noch keine Unruhe verbreitete, aber der Kleinen mit auf den Weg gab, dass sie sich nicht mehr so viel Zeit lassen solle, da die Plazenta schon ziemlich verkalkt war. Und ich solle mehr trinken, sagte sie. Also trank ich den ganzen Tag über ein Glas Apfelschorle nach dem nächsten, was zur Folge hatte, dass ich in der nächsten Nacht nicht schlafen konnte, weil ich ständig auf’s Klo musste. Morgens um halb sieben lag ich wach im Bett und plötzlich merkte ich etwas, was so noch nicht dagewesen war. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ein paar Minuten später war es wieder da. Es fühlte sich ein bisschen an wie Regelschmerzen und ich dachte: das müssen jetzt wohl Wehen sein. Ich wartete, bis mein Mann Magnus um acht Uhr aufwachte (es war Samstag, wie passend) und begrüßte ihn mit der Nachricht, dass unsere Tochter sich scheinbar auf den Weg machte. Wir starteten ganz normal in den Tag. Ich war noch sehr aktiv und mir fielen plötzlich tausend Dinge ein, die noch gemacht werden mussten. Müll runterbringen, Wohnung saugen: das konnte Magnus machen. Fingernägel schneiden: ich schaffte den Daumen der linken Hand, dann konnte ich schon nicht mehr ruhig am Tisch sitzen, da ich mich in immer kürzeren Abständen vor Schmerzen krümmte. Das hatte schon nicht mehr viel mit Regelschmerz zu tun… Bei einer der ersten stärkeren Wehen fragte mich Magnus ganz verwundert: „Was ist?“, weil ich schon etwas jammerte. Ich muss ihn mit sehr großen Augen angeguckt haben – er hat die Antwort nicht abgewartet und auch nicht wieder gefragt. Mir fiel dann irgendwann ein, dass ich in die Badewanne gehen könnte, um zu gucken, ob die Wehen schwächer oder stärker werden. Ich bade sehr gerne und freute mich auf das warme Wasser. Die Schmerzen wurden leider stärker, was mir aber immerhin die Gewissheit gab, dass es sich um richtige Wehen handelte. Magnus wollte schon die ganze Zeit über die Rufbereitschaftsnummer anrufen, aber ich zog es vor noch zu warten. Nichts stellte ich mir schlimmer vor als bei der ersten Untersuchung zu hören: leider erst 3 cm. Ich blieb lange in der Wanne und die Wehen wurden immer stärker. Ich hatte keine richtigen Pausen zwischen den Wehen und Magnus, der die Zeiten stoppen wollte, hatte einige Probleme, Anfang und Ende zu erkennen. Ich vergrößerte das Problem noch, denn ich habe auf seine Fragen – wenn überhaupt – mit bösen Blicken geantwortet. „Schon vorbei?“ Aaahhh, da ging es schon wieder von vorne los. Ich freute mich, dass es anscheinend schnell voran ging und rief auf Magnus‘ Drängen gegen elf Uhr die Handynummer an und sprach mit Meike. Sie ließ sich schildern, wie es mir bisher ergangen war und sagte, dass sie gegen halb eins vorbeikommen würde. Da lag ich immer noch in der Wanne und ich war schon ziemlich erschöpft. Insgeheim bereitete ich mich schon darauf vor gleich ins Geburtshaus zu fahren, aber dann untersuchte Meike mich und sagte anschließend etwas kleinlaut: „erst ein Zentimeter!“ Ich hatte exakt ab diesem Zeitpunkt keinen Bock mehr auf den ganzen Mist und wäre ich in der Lage gewesen zu sprechen, hätte ich das auch geäußert. Aber ich war zu schlapp und völlig niedergeschlagen. Was machte ich falsch? Ich war nicht davon ausgegangen, dass die Geburt ein Spaziergang werden würde und ich würde mich auch nicht als allzu zimperlich beschreiben, aber ich war wirklich erstaunt, wie schnell ich an meine Grenzen kam. Noch erstaunlicher sollte werden, wie weit man über seine Grenzen hinausgehen konnte…
Meike riet mir die Badewanne zu verlassen und so verbrachte die meiste Zeit der folgenden Stunden am oder eher im Kleiderschrank gelehnt, um dort die Wehen zu veratmen. Es war allerdings mehr ein Verjammern und Verstöhnen. Ich fand es unfassbar, dass die Schmerzen immer noch schlimmer wurden. Und das alles für nichts!? 1 cm war schließlich schon vier Tage vorher bei der Vorsorge gewesen. Es hatte sich absolut nichts verändert, ich konnte es nicht glauben. Meike meldete sich gegen halb vier das nächste Mal und ließ sich von Magnus die Entwicklung beschreiben, weil ich nicht gut sprechen konnte. Sie verabredeten, dass Meike um halb fünf wieder zu uns kommen würde. Ich fieberte ihrer Ankunft entgegen und stellte mir vor, wie sie nach der Untersuchung sagt „Oh, schon so weit, na dann können wir auch gleich hier bleiben!“. Stattdessen sagte sie aber: „Zwei Zentimeter“. Magnus fand das positiv, immerhin hatte sich was getan. Ich hätte am liebsten geheult und nach einer PDA oder einem Kaiserschnitt oder beidem geschrien, aber mir fehlte zu allem die Kraft. Also hörte ich mit halbem Ohr hin, wie Meike und Magnus sich über den weiteren Ablauf unterhielten. Magnus sollte mir alle zehn Minuten irgendein Pulver geben und um 18 Uhr sollten wir ins Geburtshaus kommen, um dort über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Mir war klar: das hieß Verlegung ins Krankenhaus. Irgendwie ging die Zeit bis kurz vor sechs um und die Autofahrt ging erstaunlich gut. Als wir die Kiskerstraße hochfuhren dachten Magnus und ich beide unabhängig voneinander, dass wir das Klösterchen heute wohl auch noch von innen sehen würden. Im Geburtshaus wurden wir von Marina und Meike empfangen und man hörte förmlich den großen Stein, der Magnus vom Herzen fiel, als er mich in deren Hände übergeben konnte. Das Badewasser war schon eingelaufen, aber erst untersuchte mich Meike noch mal. Drei Zentimeter. Ich wollte nicht mehr. Ich setzte gerade an, dies in aller Deutlichkeit kundzutun, als mich die nächste Wehe packte, die schmerztechnisch noch mal alles in den Schatten stellte, was bisher gewesen war. Ich jammerte und Meike fragte, wo es weh tut. Ich versuchte es zu beschreiben und sagte, dass es drücken würde, was Meike nicht glauben konnte. Aber ich bestand drauf. „Dann muss ich Dich leider noch mal untersuchen“ sagte sie – mir war inzwischen alles egal. Es folgte um ca. 18:15 Uhr der erste positive Moment seit etlichen Stunden, denn Meike verkündete etwas verwundert, dass der Muttermund quasi vollständig eröffnet sei. Ich suchte heimlich nach der versteckten Kamera, fand aber keine. Des Rätsels Lösung war, dass bei der vorangegangenen Untersuchung die Fruchtblase geplatzt war (ich habe Meike nicht gefragt, ob es wirklich Zufall war ?) und nun der Kopf des Kindes ungepolstert auf den Muttermund drücken konnte. Daher empfand ich die nächste Wehe als so extrem, es war wohl die erste Presswehe. Nach einem Gang zur Toilette war ich froh, endlich in die Badewanne gehen zu können. Magnus, Meike und Marina saßen um mich rum und ich versuchte allen Anweisungen zu folgen, die ich bekam. Ich gab dem Drang nach und presste immer mehr mit, was sich einerseits gut anfühlte, weil ich aktiv was machen konnte, mir aber andererseits auch Angst machte. Dass Meike schon die Haare unserer Tochter sehen konnte registrierte ich zwar, ließ mich aber ansonsten völlig kalt. Gegen 19:10 Uhr forderte Meike mich auf, die Badewanne zu verlassen. Als mich im Geburtszimmer Jule begrüßte war mir klar, dass es nicht mehr lange dauern könne. Dafür hatte ich einfach zu viele Geburtsberichte gelesen ? Und genauso kam es auch. Ich ließ mich bei den nächsten Wehen auf Magnus‘ Oberschenkel fallen, der auf dem Bett Platz genommen hatte. Plötzlich hieß es, dass der Kopf geboren sei und ich war echt erstaunt, denn ich hatte das nicht „gemerkt“. Nach der nächsten Wehe war unsere Tochter Luise geboren und alle Schmerzen waren weg – KRASS! Da lag sie vor uns auf dem Boden und bekam von Meike ein Glas Wasser über den Rücken, was sie mit lautem Geschrei kommentierte. Meike legte mir Luise auf die Brust und sie begrüßte mich mit der Entleerung ihres Darms. Es erstaunte mich, was in so ein kleines Organ alles reinpasst… Magnus durchtrennte die Nabelschnur und begleitete dann Luise zur U1, die Marina durchführte. Meike wartete mit mir auf die Plazenta, die keine zehn Minuten später ihren Weg fand. Und dann konnten Magnus und ich mit unserer 49 cm großen und 3300 g schweren Tochter auf dem großen Bett kuscheln und uns kennenlernen. Ohne Worte!
Es ging mir nach der Geburt recht gut, ich war fit und ehrlich gesagt ziemlich stolz auf das, was den Tag über passiert war. Ich hatte zwar einen Damm- und einen Scheidenriss, aber es musste nichts genäht werden. Dass mein Steißbein einen derben Knacks bekommen hatte und ich nicht schmerzfrei Sitzen und Aufstehen konnte, merkte ich erst in den kommenden Stunden. Nachdem ich mich geduscht und wieder angezogen hatte, war auch schon die bestellte Pizza eingetroffen. Da saßen wir also zu fünft plus Luise im Esszimmer, aßen Pizza bzw. Salat (selber Schuld!) und tranken Sekt und Cola. Wie wunderbar! Zum Glück konnte Meike uns bei der Abfahrt noch zeigen, wie man den Maxi Cosi im Auto befestigt, so dass wir top verkehrsgerecht den Weg nach Hause antreten konnten. Als wir dann dort vier Stunden nach unserer Abfahrt plötzlich wieder auf dem Sofa saßen und Luise bestaunten, fehlten uns die Worte. Wahnsinn, wie diese vier Stunden unser ganzes weiteres Leben verändert hatten!
Da inzwischen schon sieben Wochen vergangen sind, kann ich mit diesem Abstand recht locker über Luises Geburtstag schreiben. Ich hätte wirklich gerne einen fröhlicheren Geburtsbericht geschrieben. Und ich hoffe auch, dass Luises Geburtserlebnis nicht dazu führt, dass sie Einzelkind bleibt oder sehr lange auf ein Geschwisterchen warten muss, denn ich fand das Erlebte wirklich abschreckend. Das einzige, was ich in jedem Fall wieder so machen würde, ist die Entscheidung für’s Geburtshaus! Ich habe mich zu jedem Zeitpunkt gut und kompetent betreut gefühlt, habe mich auf alle Vor- und Nachsorgetermine gefreut und ich konnte am Tag der Geburt völlig entspannt (haha) die Handynummer anrufen, weil ich mich über jede Stimme am anderen Ende gefreut hätte. Das Los fiel auf Meike und ich möchte mich noch mal ausdrücklich für Deine Unterstützung und Begleitung bedanken! Ich hätte es nicht besser haben können und das war mir zu jedem Zeitpunkt klar. Nur durch Deine Ruhe und motivierenden Worte habe ich bis zum Schluss durchgehalten! Vielen Dank auch an Marina, die im Geburtshaus die ganze Zeit an meiner Seite war und immer die richtigen Worte fand. Wir haben uns sehr gefreut, als Jule dann noch just in time zur Geburt von Luise dazukam und bedanken uns bei Dir ganz herzlich für die wunderbare Nachsorge! Nur wenn es Euch und das Geburtshaus in dieser Form noch in den nächsten Jahren gibt, könnte ich mir vorstellen, am ursprünglichen Plan von vier Kindern festzuhalten ? DANKESCHÖN!