Lange vor der Geburt unseres 2. Kindes habe ich mir gewünscht, dass diese Geburt anders verläuft als die erste. Bei der Geburt meines Sohnes vor zwei Jahren war nichts dramatisch, aber es war ein langer Kampf, ein Marathon den ich lange verarbeiten musste. Um diesmal grundlegend andere Voraussetzungen zu haben meldeten wir uns ganz zu beginn der Schwangerschaft im Geburtshaus an. Schon bei der überfüllten Besichtigung Anfang des Jahres musste ich meine Tränen zurückhalten weil alles was die Hebammen dort sagten so sehr meinen Wünschen und Vorstellungen einer natürlichen und selbstbestimmten Geburt entsprach. Ich wusste sofort, dass diese Frauen genau das unterstützen würden was ich mir wünschte.
Im laufe der Schwangerschaft hingen meine Sorgen zwischen einem geplanten Kaiserschnitt (weil sich das Baby erst sehr spät in Startposition gedreht hatte) und einer zu schnellen Sturzgeburt. Beides schien mir nicht erstrebenswert, wobei ich ansonsten voller Neugierde und ohne jegliche Angst der Geburt entgegensah. Ich wusste, egal wie es werden würde, mein Körper hatte dies schon einmal geschafft und würde es wieder schaffen… komme was wolle!
Wir warteten und hofften schon Tage vor dem errechneten Geburtstermin auf die „richtigen Wehen“. Ich hatte schon lange immer wieder Senk- und Vorgehen und das Baby war schon relativ tief gerutscht. Am Abend des 3. Oktober fühlte sich mein Bauch noch tiefer an als bisher und wir hatten große Hoffnungen, dass sich unser Baby nun langsam auf den Weg machen würde. Gegen 1:30 Uhr holte mich eine deutliche Wehe aus dem Schlaf. Drei weitere Wehen mit einem Abstand von ca. 7 Minuten hielt ich noch im Bett aus, bis ich mich dann leise aus dem Zimmer schlich um meinen Mann und unseren „großen“ nicht zu wecken. Im Wohnzimmer lief ich auf und ab und lies die Uhr nicht aus dem Blick. Die Wehen wurden innerhalb weniger Minuten deutlich stärker und ich zögerte nicht meinen Mann zu wecken. Gemeinsam stoppten wir die Uhr und ich konnte kaum mehr Beginn und Ende der Wehen unterscheiden. Wir entschieden keine Zeit mehr zu verlieren und alarmierten zuerst meine Mutter, die sich um unseren Sohn kümmern sollte. Als nächstes telefonierten wir mit der Hebamme (Edith) aus dem Geburtshaus, die uns schnell und sanft erklärte, dass sich unser Wunsch einer Hausgeburt leider nicht erfüllen würde, weil bereits eine andere Frau im Geburtshaus in den Wehen lag und sie daher vor Ort bleiben müssten. Sie hörte sich übers Telefon meine Wehen an und riet uns, das nötigste zusammenzupacken und uns auf den Weg zu machen. In den nur noch sehr kurzen Pausen zwischen den Wehen zog ich mich an und packte die für mich und das Baby wichtigen Dinge ein. Als meine Mutter kam und mich stöhnend über den Tisch gebeugt sah, versicherte sie mir ohne zu zögern: „Diesmal wird es schneller gehen!“. Mit dieser Hoffnung stiegen wir ins Auto. Die 10-minütige Fahrt (die ich deutlich länger empfand) verbrachte ich stöhnend und betend auf der Rückbank. Ab der Hälfte der Strecke war mein einziger Wunsch: „Bitte lass es uns noch bis zum Geburtshaus schaffen, bitte noch nicht jetzt, bitte nicht hier im Auto!“. Ich musste den Dang zu pressen unterdrücken. Im Geburtshaus angekommen hatte ich dann kaum mehr Gelegenheit meine Hose auszuziehen und es gab kaum eine Wehenpause damit Edith untersuchen konnte wie weit der Muttermund geöffnet war. Ich musste mir ein lautes „Halleluja“ unterdrücken als sie gegen 3:00 Uhr sagte, dass der Muttermund schon fast ganz offen ist. Dieser Moment, als ich vor dem Bett kniend wusste, dass es diesmal schnell gehen würde war unbeschreiblich erleichternd. Ich hätte mir zu diesem Zeitpunkt auch absolut nicht vorstellen können diesen Druck lange ertragen zu können. Nun durfte ich ohne Angst pressen… In der nächsten Wege platze die Fruchtblase. Edith erklärte uns, dass wir in der nächsten Pause in Position gehen sollten, mein Mann aufs Bett und ich in der tiefen Hocke vor ihm auf dem Boden. Es gab keine Pause mehr und sie entschied: „Ok, wir machen das sofort“. Jetzt konnte ich schon das Köpfchen fühlten. „Es wird jetzt sehr drücken, du musst über den Druck hinaus pressen“. Das tat ich und schon lag mein Baby vor mir. Ich konnte es nicht fassen und wusste nicht was zutun war… Edith befreite mein Baby von der Nabelschur, die locker um ihren Hals lag und legte sie mir sanft in die Arme, weil ich selbst zu verdutzt war um sie zu nehmen. Ich erinnere mich nur noch wie ich ihre weiche und wundervoll warme Haut spürte und sagte: „So schnell, jetzt bist du schon da, so schnell…“. Wir fühlten die Nabelschnur pulsieren und plötzlich gab mein Kreislauf nach. Edith reagierte blitzschnell, nahm mir das Baby aus dem Arm, gab es meinem Mann, rief nach Verstärkung und nabelte ab um meinen Kreislauf nicht weiter zu schwächen. Ich nahm alles nur noch verschwommen wahr, bis ich dann auf dem Bett lag und wieder zu mir kam. Dieses Gefühl sollte ich in den nächsten Tagen leider noch sehr oft verspüren… Im liegen konnte ich die Kleine nun wieder zu mir nehmen, sie saugte sofort kräftig an meiner Brust und wir gaben ihr ihren Namen: Nahla Marleen. Die nächsten 1-2 Stunden waren geprägt von ausgiebigem kuscheln und dem Versuch meinen Kreislauf zu stabilisieren. Die Geburt im Nebenraum ging nur schleppend voran und ich litt mit der Frau, die man hin und wieder schreien hörte. Wie unfair war es, dass sie schon so lange in den Wehen lag und ich ankomme, dreimal schreie, kurz presse und mein Kind nur 20 Minuten nach unserer Ankunft im Geburtshaus in den Armen halten durfte. Bei der Geburt meines Sohnes hingegen war ich diejenige, bei der es nicht voranging, einige andere Frauen überholten mich damals deutlich hörbar in den benachbarten Kreissälen. Ich wusste schon immer, dass die Hebammen aus dem Geburtshaus einen extrem herausragenden Job machen, aber in dieser Nacht waren sie Heldinnen. Johanna wurde als dritte Hebamme noch einmal geweckt, obwohl sie wenige Stunden vorher bereits eine Geburt hinter sich hatte und kam um mich zu nähen (davor hatte ich großen Respekt, weil es beim letzten Mal wirklich schrecklich war und die Ärztin ihren Job dabei einfach nicht gut gemacht hat). Diesmal war es ein Spaziergang und ich bin so dankbar, dass die Wunden gut und schmerzfrei versorgt wurden. Drei Geburten in einer Nacht – das passiert nur selten im Geburtshaus und ist für die Hebammen enorm kräftezehrend. Diese drei Heldinnen (in meinem Fall Edith, Johanna & Katharina) lassen sich das aber nicht anmerken und kümmern sich um jede Frau mit absoluter Hingabe und immer einem Lächeln und positiven Worten auf den Lippen. Sie versorgten mich mit Essen, wuschen mich im Bett (da ich noch nicht aufstehen konnte) und unterstützten mich in jedem meiner Wünsche. Da mein Kreislauf das aufstehen leider noch nicht verkraftete war es sehr fraglich, ob ich es nach 3-4 Stunden (die übliche Zeit die man nach der Geburt im Geburtshaus verbringt bis man nach Hause fährt) schaffe die kurze Strecke bis zum Auto zurückzulegen. Alternativ hätte ich ins Krankenhaus verlegt werden können (absolut keine Option für mich!!!) oder weitere 2-4 Stunden auf einen Krankentransport warten müssen, der mich liegend bis nach Hause ins Bett transportiert hätte. Mein Wille war groß, das spürten die drei schnell und unterstützten mich in meinem Vorhaben die wenigen Meter bis zum Auto zu schaffen. Mehrere Versuche aufzustehen misslangen. „So, jetzt wagen wir noch einen Versuch, du stehst auf, hält deinen Kopf hoch, wir stützen dich und du läufst einfach schnell los“. Mit eisernem Willen tat ich genau das, wir machten auf halber Strecke eine Pause, Beine hoch, Herz-Kreislauf-Tropfen immer wieder in den Mund und dann mit vereinten Kräften aus der Tür, rein ins Auto. Überglücklich und dankbar lies ich mich in den Sitz fallen. Jetzt war alles gut, wir hatten es ohne ärztliche Hilfe, ohne Krankenhaus und ohne langen Kampf geschafft. Keine zwei Stunden nachdem ich zu Hause wach wurde, wurde unser Baby um 3:20 Uhr geboren und jetzt um 7:00 Uhr waren wir wieder auf dem Heimweg, mit einer friedlich schlafenden Nahla auf der Rückbank.
Gustav Sucher schrieb am :
Hallo, bei so einer Geburt spielt die Zeit schließlich eine große Rolle. Wenn es los geht, da wird es echt Ernst für eine Weile. Aber da ist es umso besser, wenn es alles geklappt hat. Ich hätte ehrlich gesagt auch nicht auf einen Krankentransport warten können. Danke für alles!