Die Geburt unserer Tochter
Die ersten Wehen begannen mitten in der Nacht auf Dienstag und ich habe gar nichts davon mitbekommen. Im Gegenteil, ich konnte friedlich weiter vor mich hin schlummern. Das klingt vielleicht ungewöhnlich, leuchtet aber ein, wenn ich erwähne, dass dieser Geburtsbericht zur Abwechslung mal von einem Vater verfasst worden ist. Meine Frau war jedenfalls so nett, mir für diese Nacht unser gemeinsames Bett zu überlassen, und ist auf das Sofa ausgewichen (angeblich konnte sie in den Wehenpausen nicht wieder einschlafen, weil ich so laut geschnarcht habe). Am nächsten Tag war ich also gut ausgeschlafen, als sie so gegen acht Uhr morgens beschloss, jetzt genug alleine gelitten zu haben, und Unterstützung einforderte. Bis hierher war es also noch sehr entspannt für mich gelaufen, und ich machte mich denn auch sofort nützlich, indem ich begann, akribisch Wehendauer und Häufigkeit zu messen. Nachdem wir eine Zeitlang Sekunden gezählt hatten, war deutlich, dass es noch viele Stunden keinen Grund zur Panik geben würde, was meine Frau etwas enttäuschte, die der Ansicht war, sie hätte eigentlich die ganze Nacht schon ziemlich hart gearbeitet. Um uns abzulenken, haben wir zusammen mit ihren Eltern einen ausgedehnten Spaziergang in den Teutoburger Wald unternommen, und die beiden unterstützten uns hilfsbereit in der Zeitmessung. Zeitweilig hatten wir drei verschiedene Versionen der momentanen Wehendauer und -abstände, was zu lebhaften Diskussionen führte, an deren Ausgang meine Frau unseres Erachtens viel zu wenig Anteil nahm. Deutlich war jedoch, dass die Wehen jetzt häufiger und länger wurden. Allerdings lagen sie immer noch weit entfernt von den Schwellenwerten, die wir im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatten. Vorsichtshalber wurde der Autositz nun aber schon mit einer Wickelunterlage geschützt, denn ein Blasensprung erschien uns zu diesem Zeitpunkt doch schon sehr im Bereich des Möglichen.
Im Laufe des Tages steigerten sich die Wehen mehr oder weniger kontinuierlich. Meiner Frau war die zunehmende Anstrengung beim Veratmen der Wehen deutlich anzumerken, und irgendwann überließ sie uns und unsere Uhren uns selbst, um im Nebenzimmer unvermessen und in Ruhe weiter zu atmen. Von dort aus ließ mich uns dann auch wissen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, ihre Eltern mit sanftem Druck zum Gehen aufzufordern, die noch ein Abendessen gekocht hatten, aber nichts mehr davon abbekamen. Außerdem schien es uns jetzt mal an der Zeit, bei den Hebammen des Geburtshauses anzurufen. Am Telefon meldete sich Sabrina. Meine Frau schilderte ihr die momentane Lage und für Sabrina schien die Situation noch keine Dringlichkeit zu haben. Wir wussten ja aus dem Kurs, dass sich so eine Eröffnungsphase sehr lange hinziehen kann, und verabredeten mit ihr, dass wir uns in ein paar Stunden wieder melden würden.
Gegen 19:30 wurden die Wehen dann aber doch so stark, dass wir gerne mal wissen wollten, wo wir im Moment so stehen. Sabrina war innerhalb von 15 Minuten bei uns. Der Muttermund war bei ca. drei Zentimetern. Damit war klar, dass die Geburt wohl noch in dieser Nacht oder am nächsten Morgen stattfinden würde. Unser Kind hatte sich also entschieden, pünktlich zum errechneten Geburtstermin auf die Welt zu kommen. Nachdem Sabrina wieder gegangen war, legte sich meine Frau in die Badewanne, um sich zu entspannen. Das schien aber den gegenteiligen Effekt zu haben: plötzlich kamen die Wehen häufiger und, wie es aussah, wohl auch deutlich schmerzhafter. Sie stieg also wieder raus, und weil die Wehen jetzt so stark blieben, rief ich wieder bei Sabrina an. Nach einer weiteren Untersuchung – der Muttermund war inzwischen bei vier Zentimetern – schlug Sabrina vor, die Geburt im Geburtshaus vorzubereiten, wir sollten nachkommen, wenn wir es zuhause nicht mehr aushielten. Nur eine halbe Stunde später, um 23:00 Uhr, entschieden wir, ihr zu folgen. Es gewitterte draußen ziemlich stark, und ich hatte etwas Sorgen, dass wir nicht mehr problemlos zum Geburtshaus kommen, wenn wir noch länger warten. Meine Frau war durch die Wehen inzwischen schon so erschöpft, dass sie sich eigentlich am liebsten ins Bett gelegt und geschlafen hätte – sie hat es auch versucht, aber länger als vier Minuten hat sie es im Liegen nicht ausgehalten. Deshalb fand auch sie, dass ein Ortswechsel jetzt vielleicht ganz sinnvoll wäre, um wieder etwas neue Energie zu bekommen .
Im Geburtshaus angekommen erwartete uns Sabrina schon mit einer warmen Badewanne, vielen Kerzen und einer sehr wohligen Atmosphäre. Der Muttermund hatte sich seit der letzten Untersuchung in nur einer Stunde um weitere zwei Zentimeter geöffnet, es ging also für eine erste Geburt erstaunlich schnell voran. Nach einer Stunde in der Wanne (während der ich mich fast etwas gelangweilt habe, weil es nichts zu tun gab, außer meiner Frau beim Wehenveratmen zuzuschauen und in den Wehenpausen Smalltalk zu halten) und einer weiteren sehr anstrengenden Stunde in diversen Positionen zum Veratmen der Wehen (wobei ich plötzlich sehr gefragt war zum Festhalten, Einhängen und Stützen und auf Smalltalk eigentlich niemand mehr Lust hatte) war der Muttermund nun schon fast ganz geöffnet. Allerdings war die die Fruchtblase noch nicht geplatzt, was bedeutete, dass der Muttermund sich in den Wehenpausen jedes Mal wieder ein gutes Stück zusammenzog. Zu diesem Zeitpunkt kam Meike als zweite Hebamme dazu, und gemeinsam rieten uns die beiden Hebammen zu einer Amniotomie, einem gezielten Durchstechen der Fruchtblase. Im Geburtsvorbereitungskurs hatte uns Lisa gezeigt, wie so was gemacht wird: anhand eines kleines unscheinbaren Fingerlings mit einem winzigen Dorn an der Kuppe. Wir entschieden uns dafür, auch wenn Meike gewarnt hatte, dass die Wehen danach sehr plötzlich sehr viel heftiger werden würden, weil der Kopf des Kindes nicht mehr durch die Fruchtblase abgefedert sein würde.
Nachdem die Fruchtblase geplatzt war, ging alles ziemlich schnell. Die jetzt einsetzenden Presswehen waren für meine Frau sehr schmerzhaft und unangenehm, und am Seil, an dem sie vorher lange Zeit gehangen hatte, schien jetzt nichts mehr voranzugehen. Für mich war es nicht leicht, meine Frau mit solch starken Schmerzen sehen zu müssen, obwohl ich natürlich darauf vorbereitet war, dass eine Geburt sehr schmerzhaft sein würde. Umso erleichterter war ich, als mit der Seitenlage im Bett schließlich eine Position gefunden schien, die vielleicht ebenso schmerzhaft war, bei der die Schmerzen aber wenigstens zu etwas gut waren. Um 2:30 wurde unter offensichtlich großen Anstrengungen das Köpfchen geboren. Direkt mit der nächsten Wehe folgte dann so plötzlich und problemlos der Körper nach, dass wir zuerst gar nicht begriffen, dass es jetzt vorbei war: da war unsere Tochter. Sie war gleich außergewöhnlich rosig und lebhaft, so dass Sabrina und Meike sie sofort meiner Frau auf die Brust legen konnten. Es war unglaublich bewegend, die Frau, die ich liebe, mit unserem winzigen, zerbrechlichen Kind zusammen liegen zu sehen. Ich legte mich dazu, und so lagen wir eine Zeit lang glücklich, völlig erschöpft und etwas fassungslos beieinander, während Sabrina und Meike noch die Nachgeburt begleitet haben. Um fünf Uhr – keine drei Stunden nach der Geburt – waren wir wieder zuhause.
Bis auf einen kleinen Dammriss, den Meike fachmännisch nähte, verlief die Geburt absolut problemlos und vollkommen natürlich ohne Hilfsmittel, wenn man mal von dem Durchstechen der Fruchtblase absieht. Ganz offensichtlich war es für meine Frau zwar extrem anstrengend und schmerzhaft, aber wir hatten beide zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass wir überfordert waren oder dass etwas außer Kontrolle geriet. Die Hebammen gaben uns sehr viel Sicherheit und haben uns mit der genau richtigen Mischung aus Inruhelassen und Unnachgiebigsein sicher durch die Geburt begleitet. Es war eine bewegende und sehr positive Erfahrung, die Geburt unseres Kindes in so einem schönen und ruhigen Rahmen mit diesen beiden engagierten Hebammen erleben zu dürfen. Sabrina hat uns später erzählt, dass es ihre erste Geburt als Ersthebamme im Geburtshaus war – noch mal ganz herzlichen Dank dafür und alles Gute für viele weitere kommende Geburten!