Elsa Niemeier, 13. August 2015, 7.15 Uhr
Ein Augenblick
Noch nie haben wir einen Augenblick sehnlicher erwartet.
Noch nie haben wir einen Augenblick schmerzlicher erlitten.
Noch nie haben wir einen Augenblick tiefer geliebt.
Noch nie haben wir einen Augenblick ehrlicher gedankt.
In diesem Augenblick bist Du geboren.
Noch nie haben wir einen Augenblick sehnlicher erwartet. Lange hast du auf dich warten lassen, kleine Elsa. Die Kinderwunschzeit zog sich über ein Jahr und jeden Monat haben wir gehofft, dass du dich zu uns auf den Weg machst. Wenn ich abends voller Sehnsucht nach dir im Bett lag, konnte ich fühlen, dass du gar nicht mehr so weit von uns entfernt bist.
Wir hatten einen Arzttermin um zu sehen ob mein Körper bereit dazu ist, dich zu empfangen und es wurde ein OP Termin für eine Bauchspiegelung im Januar 2015 angesetzt. Da hast du uns schon das erste Mal gezeigt, dass du etwas Motivation brauchst um zu uns zu kommen.
Genau an diesem Tag hast du dich dazu entschlossen mit uns auf eine wundervolle Reise zu gehen. Am 12. Dezember 2014 haben wir erfahren, dass es dich gibt. Ich war überwältigt. Es begann für uns beide eine nervenaufreibende Zeit. Es kam immer wieder zu Blutungen und die Angst dich zu verlieren war unermesslich. Ich spürte die ganzen Arzttermine und Ultraschalluntersuchungen taten dir nicht gut. Aber aus Angst um dich, haben wir es über uns ergehen lassen. Aber so solltest du nicht zur Welt kommen. Ich wünschte mir Nähe und Wärme für dich. Du solltest behütet und beschützt zur Welt kommen. Eine Geburt im kühlen Krankenhaus mit fremden Menschen wollte ich uns nicht zumuten. So waren wir schon in der 6. Woche zum Infoabend im Geburtshaus. Dein Papa und ich fühlten uns sofort zu Hause und es stand fest: hier solltest du geboren werden. Kurze Zeit später hatten wir mit Sabine den ersten Vorsorgetermin, dabei stellte sie fest, dass ich etwas zu mopsig bin und wenn du dort geboren werden sollst, dann darf ich nicht zunehmen während der Schwangerschaft. Aber wir zwei wollten auf keinen Fall ins Krankenhaus. Bis zum letzten Tag haben wir einmal am Tag auf dem Heimtrainer gesessen und sind 10 km Rad gefahren. Das tat uns beiden gut und das Ausdauertraining war später für uns nur von Vorteil und aufgrund einer angeblichen Schwangerschaftsdiabetes musste ich dazu auch noch eine strenge Diät halten. Es passiert im Leben nie etwas ohne Grund.
Unsere Ärztin war immer der Meinung, dass du zu klein und zu dünn bist. Wir hielten den Zustand der Angst nicht mehr aus und wechselten den Arzt. Der sagte das erste Mal das du augenscheinlich gesund nur ziemlich dünn bist und es ihm egal ist wie viel du wiegst, Hauptsache du bleibst lange genug in meinem Bauch. In der 38. Schwangerschaftswoche wurde dein Fruchtwasser weniger. Unser Arzt beschloss, dass du nicht länger in meinem Bauch bleiben solltest. Wir fuhren also in die Klinik. Der Chefarzt dort war sehr nett und nach einem fünftägigen Aufenthalt beschlossen wir die Geburt einzuleiten. In Absprache mit Sabine wollten wir die Geburtseinleitung mit einem Wehencocktail probieren. Wenn das nicht klappen würde, sollte ich am nächsten Tag wieder in die Klinik. Den Abend vor der Einleitung hast du uns schon zu verstehen gegeben, dass du bereit bist zu uns zu kommen. Der Schleimpropf löste sich und ich hatte in der Nacht leichte Wehen. Mit Vorfreude gingen wir schlafen.
An einem 12. Monatstag erfuhren wir von dir und am 12. August 2015 trafen wir uns um 8 Uhr mit Sabine und Johanna im Geburtshaus um deine Geburt einzuleiten. Der Muttermund war schon fingerdurchlässig und ich bekam das Rezept für den Cocktail. Um 10.15 Uhr trank ich das erste Glas. Um 16 Uhr platzte während eines Spaziergangs die Fruchtblase. Wir waren noch nicht wieder zu Hause, da hatte ich schon die ersten Wehen. Sie kamen regelmäßig aber waren noch nicht lang genug. Ich legte mich in die Badewanne und abends bestellten wir noch etwas zu Essen. Um 22 Uhr rief ich Johanna an, die Wehen hatten einen Abstand von 1,5 Minuten, aber immer noch nicht die richtige Dauer. Ich hielt es zu Hause nicht mehr aus und so fuhren wir schon ins Geburtshaus.
Wir kamen dort an und ich merkte sofort wie meine ganze Anspannung abfiel. Ich fühlte mich geborgen und bereit meinem Kind auf die Welt zu helfen. Ich schaltete den Kopf aus und hörte auf das, was mein Körper mir sagte. Intuitiv wechselte ich die Positionen und veratmete die Wellen die mich jede für sich ein Stück näher zu dir brachten. Dein Papa wich mir nicht von der Seite und Johanna und Lisa waren starke Säulen indem sie einfach nur da waren. Um 3 Uhr kam Sabine zu uns. Ich fühlte jetzt dauert es nicht mehr lang bis du bei uns bist. Zeit ist relativ- Wir haben so lange auf dich gewartet, dass mir diese Nacht vorkam wie im Flug.
Dass dem nicht so war, erfuhr ich erst als ich dich in meinen Armen hatte. Du hast dich mit deinem Köpfchen nicht richtig ins Becken gedreht. Johanna, Lisa und Sabine starteten mit uns beiden also noch ein Turnprogramm. Im Tuch ließen wir uns in die tiefe Hocke fallen und im Storchengang ging es im Flur rauf und runter. Wie gut, dass wir beide durch das Radfahren körperlich fit fahren. Im Bett musste ich drei Wellen auf der linken Seite veratmen und drei auf der rechten Seite. Dabei wurde mir richtig kalt, Lisa holte mir eine Decke und deckte mich zu. Jedoch mit der Reißverschlussseite nach oben. Dein Papa korrigierte das sofort. Er weiß, dass ich das nicht mag.
Johanna gab dir noch einen Versuch mit dem Köpfchen richtig ins Becken zu rutschen, ansonsten hätten sie uns ins Krankenhaus verlegen müssen. Die magische Toilette sollte uns helfen. 20 min verbrachten wir dort. Wie in der Schwangerschaft brauchtest du immer ein Ultimatum. Ich glaube in dieser Nacht mussten wir beide unser Trauma der letzten Monate noch einmal durchleben um mit deiner Geburt neu und entspannt anzufangen.
Jetzt lagst du mit dem Kopf zwar richtig, aber das nächste Hindernis ließ nicht lange auf sich warten. Mein Beckenboden war so fest, dass du nicht daran vorbei gekommen bist. Johanna legte mir einen Zugang für die Verlegung ins Krankenhaus. Doch da wollten wir auf keinen Fall hin. Sabine drückte mit ihren Händen den Beckenboden nach unten und du kamst ein Stück voran. Dein kleiner Kopf war aber ein ganz schöner Dickschädel. Ganz der Papa, wenn er schläft, hattest auch du deine Hand am Kopf. Sabine und Johanna entschlossen sich einen Dammschnitt zu machen damit du mehr Platz hast. Nur war die richtige Schere nicht griffbereit. Das war auch gar nicht schlimm, denn mit der nächsten Welle hast du den Weg nach draußen geschafft. Am 13. August 2015 um 7.15 Uhr. Im Geburtshaus, so wie ich es mir für dich gewünscht habe. Der 13. Hat deinem Papa und mir schon immer Glück gebracht.
Mein erster Gedanke war: Wie, das war es schon? Und ich glaube, das habe ich auch ausgesprochen.
Da lagst du nun vor mir. Ich durchtrennte die Nabelschnur, so lange verband sie uns. Nun begann dein eigenständiges Leben und ich habe mich noch nie so lebendig und Vollkommen gefühlt. Sabine nahm dich sofort mit um deine Atemwege abzusaugen. Ich lag mittlerweile auf dem Bett und wartete nur auf eine Nachricht: Du bist gesund und es geht dir gut. 2680 Gramm schwer und 50 cm groß. Als Sabine das sagte, liefen mir die Tränen. Dann durftest du zu mir und wir konnten kuscheln.
Ich war so überwältigt von deiner Schönheit, deinem Geruch und deiner zarten Haut. Es fühlte sich an, als hätte ich mein Leben lang nur auf dich gewartet. Du vervollständigst mich. Dein Papa legte sich zu uns und wie immer, wenn wir etwas geschafft haben oder uns Mut zusprechen wollen schlugen wir unsere Fäuste an einander.
Die Zeit verging für mich rasend schnell und Schmerzen habe ich auch keine gefühlt. Nur unermessliches Glück und Willensstärke. Meine Gedanken waren nur bei mir und dir.
Du bist unsere kleine Kämpferin, eine Löwin, durch und durch.
Nach einem Stück kalter Pizza und einem Schokobrötchen konnte ich duschen. Dein Papa hat dich in der Zeit zusammen mit Sabine angezogen. Um 10.15 Uhr konnten wir zusammen den Heimweg antreten.
Wie ein Wunder
liegst Du neben uns,
liebst und atmest
Zauber in uns hinein.
Manchmal übertrifft
die Wirklichkeit den Traum.
Otto Heuschele
Ich bin unendlich dankbar. Ich danke dir dafür, dass du bei uns bist. Ich danke deinem Papa, er hat sich unglaublich toll um uns gekümmert und für mich gesorgt. Er war immer an unserer Seite. Er wusste immer was zu tun ist. Deine Geburt hat er ganz wunderbar unterstützt und wenn ich sehe, wie er dich ansieht, liebe ich ihn noch mehr.
Aber ganz besonders möchte ich allen Hebammen aus dem Geburtshaus danken. Diesen wunderbaren Frauen, die einen der schönsten Berufe der Welt ausüben. Sie haben von Anfang an uns geglaubt und mir Mut zugesprochen. Kein Krankenhaus hätte dich auf natürlichem Wege das Licht der Welt erblicken lassen, viel früher wäre medizinisch eingegriffen worden.
Es sollte ein Grundrecht jedes Kindes sein, auf so natürliche Weise und durch so liebevolle Hände geboren zu werden. In Räumlichkeiten, die Liebe und Geborgenheit ausstrahlen. In dieser Nacht haben Johanna, Sabine und Lisa ein Wunder vollbracht. In der Nacht der Sternschnuppen. Wir haben zwar keine am Himmel gesehen, aber unseren größten Wunsch hielten wir am Morgen im Arm.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Reihenfolge wirklich so stimmt und ob ich mich an alles erinnern konnte, aber das ist gar nicht schlimm. Für mich war es eine wunderbare, leichte Geburt, weil alles was in Liebe und Vertrauen stattfindet, leicht ist.
Hebammen sind ein Geschenk an die Frauenwelt. Wer so tolle Menschen an seiner Seite hat, kann bewusst wieder Frau sein und gebären. Ich wünsche dir, mein Kind, solltest du selbst einmal Mutter werden, dasselbe Glück und den gleichen Beistand.
Anne schrieb am :
Das ist einer der schönsten Geburtsberichte die ich je gelesen habe! Ihr habt das alle wunderbar gemacht.