Ich liege erst eine Viertelstunde im Bett, da spüre ich ein Knacken rechts oben in meinem Bauch. Es ist 0:53Uhr. Ich stehe auf, gehe auf die Toilette und ja: die Fruchtblase ist geplatzt. Auf der Toilette rufe ich „Hebamme 1“ an und Sabine nimmt ab. Ich berichte von rosarotem Fruchtwasser und wir besprechen, in Kontakt zu bleiben. Nach nicht allzu langer Zeit setzt die erste Wehe ein, ich stehe im Flur, an den Türrahmen gelehnt und veratme eine sanfte Wehe. Erneut melde ich mich bei Sabine und wir besprechen, dass wir uns melden, wenn die 321-Regel gilt. Währenddessen kümmert sich Papa-Bär um alles, ohne, dass ich es mitbekomme: Geburtstasche und Maxi-Cosi stehen bereit, die vorbereitete E-Mail an seine Arbeit geht raus.
Nun beginnt das Veratmen allein zu Hause. Unsere Birthday-Playlist mit meiner liebsten und beruhigensten Musik, die ich schon so oft in der Schwangerschaft gehört habe, spielt fast sechs Stunden durch. Fast 20 verschiedene Sänger und Sängerinnen begleiten sanft jede Wehe. Dazwischen wiegen wir uns dazu, tanzen ein wenig, ich singe mit, das Licht ist aus, die Katze sitzt auf der Fensterbank, schaut dem Spektakel zu und wirkt ebenfalls aufgeregt. Langsam wird aus dem Veratmen ein Vertönen mit Hilfe eines großen Ooooooooohs. Langsam merke ich auch, wie ich die Musik kaum noch höre und mir übel wird. Ich bereue den Veggie-Burger und die Süßkartoffelpommes vom Abend davor zutiefst und verabschiede mich bald durch Erbrechen davon – viermal. Ich vertöne meist auf Schreibtisch oder Bett gestützt und bei jeder einzelnen Wehe drückt Papa-Bär seine Pranken in meinen unteren Rücken, eine unglaubliche Erleichterung. Ab und an nutze ich den Gymnastik-Ball und eine Wehe veratme ich in der Badewanne.
Als die Wehen bereits zweieinhalb Stunden lang alle drei Minuten ungefähr eineinhalb Minuten dauern ruft Papa-Bär erneut Sabine an; ich kann gerade nicht, da ich ein besonders dickes O ausatme. Es ist 06:00Uhr und ich denke: „Jetzt ist aber auch genug, nun können wir mal was anderes machen außer Wehen haben.“ Sabine kommt vorbei, um sich ein Bild zu machen. Der Muttermund ist sechs cm geöffnet; das herauszufinden hat keinen Spaß gemacht, aber OK, sechs cm, das klingt gut. Sabine fährt ins Geburtshaus und bereitet alles vor. Papa-Bär ruft ein Taxi. Um genau zu sein, ruft er drei. Denn zwei Unternehmen wollen erst in einer Stunde einen Wagen schicken. Ich kriege wieder nichts mit, zu viele Os. Endlich ist der Fahrer da. Allen Ernstes habe ich den Gedanken, dass ich ungern im Treppenhaus vertönen möchte – was sollen denn die Nachbarn denken – und töne im Treppenhaus ein großes, dickes O. Ebenso draußen auf dem Weg zum Taxi. Ich sehe in den Augen des Taxifahrers leichte Panik. „Zum Franziskushospital, ja?“, sagt er. „Nein, Wertherstraße 8, bitte, wir wollen erst noch wen besuchen.“ Na gut, das sagen wir nicht, stattdessen: „Geburtshaus, Wertherstraße 8, bitte.“ Ich sitze hinten und wieder besuchen mich kleine und große Os. Die Fahrt macht wenig Spaß, der Taxifaher ist sehr bemüht, schnell zu fahren, was mein Magen ihm übel nimmt. Endlich angekommen, gehe ich gestützt ins Haus und Sabine nimmt mich herzlich in Empfang: „Jetzt hast Du es geschafft und kannst in Deine Höhle.“, sagt sie und ich entgegne: „Oh.“
Ich versuche meine Position von zu Hause am Wickeltisch zu imitieren, aber Sabine muss fühlen, tasten, Herzchen hören und bietet die Badewanne an. Derweil soll ich auf der Toilette vertönen. Ich vertöne, doch aus den schönen runden Os werden schrille Is. Sabine stellt fest, der kleine Bär hat das Köpfchen noch nicht richtig positioniert, das erkennt sie an meinen schrillen O-Is. Also muss umgelagert werden. Ich vertöne also auf der Seite in der Hoffnung, dass dem kleinen Bären so geholfen wird. Dieser zappelt wie wild und versucht alles, um den kleinen Kopf richtig zu positionieren. Das Herzchen wirkt bedrohlich ruhig mit 120 bpm. „Wir müssen das im Auge behalten, aber Ihr müsst Euch keine Sorgen machen“, sagt Sabine. Mache ich nicht; bereits in der Schwangerschaft war seine Herzrate eher niedrig – Bären sind einfach entspannte Wesen. Viel mehr sorgt mich, dass die Os immer fiesere Is werden und Liegen das Ganze bei Weitem nicht angenehmer gestaltet. Wir wechseln in den Vierfüßlerstand. Papa-Bär soll an meiner Hüfte wackeln, um dem kleinen Bären zu helfen. „Äpfelchen schütteln“ lese ich später im Geburtsbericht nach und muss lachen – später, nicht jetzt. Jetzt, auf allen Vieren, bin ich so erschöpft, dass ich aufgrund eines Sekundenschlafs kurz weg knicke. Die Badewanne ist längst keine Option mehr. „Es geht nicht, ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr“, denke ich. „Alles ist gut, Du hast ganz viel Kraft, auch wenn es sich nicht so anfühlt.“, sagt Sabine. „Alles guuhuuut.“, wiederhole ich und glaube ihr das, auch wenn mir eher zum Heulen ist. Papa-Bär drückt fleißig meinen unteren Rücken und nimmt meine hastig ausgestoßenen Befehle entgegen. „Höher! tiefer! Fester! Nicht so fest!“ Irgendwann schläft ihm die Hand ein.
Kurz darauf: ich sitze wieder auf der Toilette und sage bestimmt: „Das machen wir nicht nochmal, ein Kind reicht!“. Sabine lächelt. Das hört sie nicht zum ersten Mal. Wieder liegend sagt Sabine: „Euer Kind hat ganz viele dunkle Haare.“ Lange sieht man schon eine Locke, auch ich sehe sie mir an und taste nach dem kleinen Kopf. In meinem Gefühl muss der Kopf schon halb dagewesen sein, doch nun fühle ich nur eine kleine vielleicht fünf-Mark-Stück-große weiche Stelle. Oh.
Irgendwann – wir haben schon längst die 8cm erreicht – sagt Sabine: „Du kannst dem Druck jetzt auch ruhig nachgeben und pressen.“ „Mach mal so: Mmmmmhhhh“; es klingt wie eine Katze, die knurrt und ich weiß nicht, wie das geht, meine Os waren doch so schön. Also schreie ich einfach einige Wehen lang. „Genauso, nur ohne das Schreien, dann geht die Kraft auch dahin, wo sie hin soll“. Achso, denke ich, so richtig drücken soll ich und: nein, ähäh, ohne mich, dann zerreiße ich. Im selben Moment erinnere ich mich an eine Freundin, die mir von ihrer Angst vorm Pressen berichtet hatte und dass das alles noch mehr in die Länge gezogen habe. Ich schreie also ohne zu schreien, aber eher wie ein dicker Dampfkessel, nicht wie eine Katze, und versuche mein Glück in der Hocke vorm Bett, Papa-Bär hält mich von hinten fest. Maike kommt dazu. Und es dauert nicht lange, da bringen sie Kaffee, pieksen eine Akkupunkturnadel in meinen Po und massieren, um einen Dammschnitt zu verhindern. Dann der Satz: „Die Herztöne sind sehr niedrig, ihr müsst Euch keine Sorgen machen, aber, wenn er nicht bald kommt, müssen wir schneiden.“ Ich mache mir keine Sorgen, aber auf keinen Fall soll mir jemand in den Hintern schneiden. Ich mag meinen Hintern. Maike sagt: „Na dann jetzt noch mal so richtig, komm! Gib alles!“ Ich soll mich hinstellen und in die Hocke sausen bei der nächsten Wehe, um die Schwerkraft so richtig zu nutzen. „Jetzt komm!“, Maike ist definitiv der böse Bulle. „Schieb!“. Und auf einmal macht es Flutsch. Nicht nur der Kopf, mit einem Mal ist das ganze Kind da. Liegt auf dem Boden umrankt von einer langen Nabelschnur. Die Zeit bleibt kurz stehen. Die Schmerzen sind weg.
Er scheint sich zu räkeln, macht Geräusche. „Du kannst ihn jeder Zeit aufnehmen“, sagt irgendjemand und ich denke „Stimmt, das ist ja meiner.“ Es fühlt sich richtig an, das kleine, weiche, warme Wesen zu nehmen und an mich zu drücken. Ich mache ein paar bärige Freudenweinlaute, während mir der kleine Bär erst einmal auf den Bauch kackt. Alle lachen, ich auch. „Hallo“, sage ich, eine Oktave höher als gewohnt: „ich bin Deine Mama!“ Sabine, Maike und sogar Papa-Bär nehme ich kaum noch war, während Papa-Bär die Nabelschnur durchtrennt.
Der kleine Bär wird nun untersucht, während wir uns um die Plazenta kümmern. Ich fühle nicht mal die Wehe, die alles problemlos hinaus befördert. Endlich sitze ich da, auf der Unterlage, die Beine von mir gestreckt, ans Bett gelehnt und muss lachen. Überall ist Blut, mein Bauch voller Mekonium, vor mir liegt eine Plazenta plus Nabelschnur. „Das ist also eine natürliche Geburt.“, denke ich und muss lachen.
Mit einem Rutsch kommt dann doch noch ein Schwall Blut aus mir und Sabine und Maike werden etwas hektischer. Sie befördern mich gemeinsam aufs Bett und spritzen professionell und schnell Oxytocin, legen vorsichtshalber noch einen Zugang und warten, dass die Blutung gestoppt wird. Papa-Bär sieht währenddessen immer wieder ängstlich vom Wickeltisch herüber, ich versichere ihm: „Alles gut, mach Dir keine Sorgen“ und bin überzeugt davon.
Während der kleine Bär mich unentwegt ansieht, kuscheln wir uns zu dritt ein und ich werde untersucht. Eine kleine Naht muss noch genäht werden und Sabine ist sehr gründlich. Papa-Bär nimmt unseren kleinen Bären derweil auf sein bloßes Bärenfell und ist glücklich. Wir warten auf das Frühstück und mein kleiner Bär nimmt das erste Mal seine Bärenmilch zu sich.
Zum Frühstück gibt es meine Lieblingsbrötchen, das perfekte Ei und einen ekeligen süßen Saft für meinen Kreislauf, alles von Maike liebevoll besorgt und zubereitet. Nachdem ich mit Unterstützung der beiden duschen konnte, ist auch schon das Taxi da und wir werden hinausbegleitet.
Wir sind unendlich dankbar für die liebevolle, empathische, kompetente und wunderbare Begleitung, Anleitung und Unterstützung. Vor allem an Dich, liebe Sabine, geht ein großes Dankeschön, Du warst ja bis kurz vor Schluss allein mit uns und hast durch Deine ruhige, wohlwollende, empathische Art Mut und Sicherheit gegeben. Aber natürlich auch ein großes Dankeschön an Dich, liebe Maike, für Deine schnelle, kompetente Endspurt-Hilfe auf den letzten Metern! Du hast nochmal motiviert und angetrieben! Ihr seid ein super Team! Wir würden uns immer wieder für Euch entschieden und können Euch mit ganzem Herzen jeder werdenden Mutter und jeder Begleitperson empfehlen. Ich, Mama-Bär, habe mich zu jeder Zeit sicher und geborgen gefühlt und bin zutiefst dankbar. Papa-Bär war unsagbar froh, dass er so toll eingebunden wurde und teilhaben durfte.
An dieser Stelle auch noch ein dickes Dankeschön an Lisa für den tollen Vorbereitungskurs und die nette Nachsorge!
Danke an Johanna und Sabine, die ebenfalls bei der Nachsorge in den ersten Tagen so wunderbar mit dem hormonellen Chaos in mir umgegangen sind. Ihr seid Gold wert!
Und danke an Jenny und Jule für ordentlich sportliche Rückbildungskurse!
Vielen Dank und alles, alles Gute Euch allen!