Leandra

Heute ist ein komischer Tag. Und dabei fing alles so normal an. Schön
zusammengekuschelt liege ich in meinem Bett. Wohlige Wärme durchfließt
meinen ganzen Körper. Ich lasse mir die All Inclusiveleistungen wie
Essen, Trinken und Baden gefallen. Das Hotel ist sehr gut, ein paar
Sterne wird es wohl haben. Die Direktion sorgt immer für gleichbleibend
angenehme Temperaturen, der Lärm von draußen ist gut von den dicken
Wänden gedämpft und die Versorgung ist geradezu himmlisch. Und riesig
ist das Hotel auch. Da kann man sich richtig verlaufen. Obwohl… mit
der Zeit schien das Hotel immer kleiner. Anfangs war das ja nicht
schlimm. Ich fand mich so auch viel besser in dem großen Komplex
zurecht. Mit der Zeit schrumpfte das Hotel aber so weit, dass ich schon
mit den Füßen ab und zu an den Boden anstieß, obwohl ich doch mit dem
Kopf noch ganz oben war. Da klopfte ich dann doch mal gehörig beim
Hotelier an. Das geht ja so nicht, schrumpfen die einem das Hotel unter
dem Po weg. Irgendwie muss die Beschwerde aber verloren gegangen sein,
denn obwohl die sonstigen Leistungen eine gleichbleibend gute Qualität
besaßen, hörte das Schrumpfen einfach nicht auf. Das ging so weit, dass
ich mich sogar zusammenkrümmen musste. Man stelle sich das mal vor: Erst
rennt man sich die Seele aus dem Leib um den einzigen Platz bei
Stratetours zu ergattern und wenn man ihn kriegt erweist er sich als
Mogelpackung. Da dacht ich mir, ich dreh den Spieß oder vielmehr mich um
und stecke einfach meinen kleinen Dickkopf nach unten und ramme mir so
mehr Platz frei. Funktionierte ganz gut und die Position war auch ganz
angenehm. Einigen konnte ich mich mit der Hotelbesitzerin aber nicht und
deshalb stieß ich immer wieder an ihre Wand um sie zu ärgern. Mann, war
das ein Spaß.
Bis gestern Morgen. Irgendwie muss es dieser Person gelungen sein, die
Bauaufsichtsbehörde zu bestechen. Die Bauarbeiter rückten an und
versuchten die Mauern um mich herum noch enger zu ziehen. Aber nicht mit
mir. Ich machte mich ganz einfach ganz groß und drückte die Wände
einfach wieder auseinander. Nicht von schlechten Eltern, was? Aber die
Hoteldirektion muss über schier unerschöpfliche Mittel verfügen. Immer
wieder rückten die Handwerker an. Ich schlug sie jedesmal zurück aber
irgendwann muss ja auch die zickigste Prinzessin mal ihre Kraft
verlieren. Also ließ ich sie machen. Ich könnte ja immer noch später,
ausgeschlafen und mit neuer Kraft, die Wände auseinander drücken.
Wie sich herausstellte, war das eine fatale Fehleinschätzung. Es zogen
sich nicht nur die Wände zusammen, unter meinem Kopf gab es auch noch
plötzlich ein Loch. Da sollte ich hineingestoßen werden. Da mobilisierte
ich natürlich alle Kräfte. Immer wenn ich wieder ein wenig nach unten
gedrückt wurde, schob ich mich schnell wieder hoch, wenn die Bauarbeiter
Pause machten. Das hat vielleicht Spaß gemacht. Ich höre jetzt noch wie
sie schnaufen und vor Anstrengung stöhnen.
Aber wieder hatte die Hotelbesitzerin den längeren Atem. Irgendwann
wurde es mir einfach zu blöd immer dasselbe zu machen. Man kann ja mal
einen Blick riskieren, was in dem Loch so ist. Also schaute ich mal
nach. Unglaublich was ich sah. Unglaublich schrille Farben in tausenden
harten Nuancen, überhaupt nicht so schön weich wie ich es kannte. Und
dieser Lärm. Die Bauarbeiter waren plötzlich so laut, dass mir das
Trommelfell platzen wollte. Und diese Umgebung. Alles so trocken. Wo
sollte man denn da schwimmen? Das einzig normale waren die Temperaturen
da draußen. Da diese aber nicht alles sind wollte ich schnell wieder
zurück. Bevor ich mich aber auch nur umdrehen konnte wurde ich von
hinterrücks geschubst. Da hatte ich den Salat. Ganz allein in einer so
prinzessinenfeindlichen Umgebung. Und dann wurde ich auch noch sofort
verschleppt und zu so einem riesigen Monster verfrachtet, dass sofort zu
mir kam und mich fressen wollte. Ich wollte weg aber meine Glieder
gehorchten mir nicht. Das Monster kam immer näher und… drückte seine
Lippen auf meine Nase und sagte HALLO LEANDRA. Komisch. Das war sooo
toll. Plötzlich wusste ich wer das Monster war. MAMA.
Die anderen Monster, Mama nannte sie Hebammen und noch so einer hieß
Papa, wollten gleich mit mir tanzen. Sie drehten mich, hoben mich an,
steckten mich in Tücher und Plastikhöschen und notierten sich alle
möglichen komischen Sachen wie Kopfumfang 33,5cm, Länge 52cm und Gewicht
3140g, Geburt 12. Juli um 04:19Uhr. Damit konnte ich gar nichts anfangen
und ihr?
Ich wollte nur zurück in mein Hotel. Das schien mir aber geschlossen.
Deshalb schrie ich aus Leibeskräften. Nach der Tortur, die ich
durchmachen musste wurde ich aber schnell müde. Schreien ist ja so
anstrengend. Da schloss ich lieber die Augen um eine wenig Kräfte zu
sammeln. Wenn ich erst mal ausgeruht bin, dann werden die Herrschaften
schon noch erfahren, dass man so mit mir nicht umspringen kann. Im
Einschlafen dachte ich noch: „Oder soll ich es mal bei diesen Verrückten
probieren?“

Leandra

Mit Grüßen von Alwina und Johannes

Ein Kommentar zu “Leandra

  1. Hallo Fam.Strate!
    Ich bin ganz begeistert! Ihre Geschichte ist ganz toll! Ehrlich gesagt, zuerst konnte ich nicht ganz verstehen,es war aber auch zu spät, als am lesen war, aber dann… super! Ein Tag danach habe ich wieder die Geschichte gelesen und sogar ausgedruckt. In weniger Wochen bin ich auch soweit…

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