Stella Nimuë – beinahe eine Gute-Nacht-Geschichte
Vor einigen Tagen wollte unser kleiner Merlin zum ersten Mal eine Gute-Nacht-Geschichte über seine kleine Schwester Stella Nimuë hören. Ich habe ihm daraufhin in wunderbar luftig-leichter Weise erzählt, wie unser kleiner Stern zu uns kam. In kleinen, feinen Tönen und Nuancen wich die Geschichte von der nun folgenden Schilderung ab…
Vor Merlins Geburt hatte ich Angst, weil ich nicht genau wusste, was auf mich zukommt, nach Merlins Geburt hatte ich dann Angst, weil ich genau wusste, was kommen würde – auch wenn seine Geburt wirklich einwandfrei und glücklich verlief, so kommt man nicht umhin auch ein wenig an die Schmerzen zu denken. Und so sah ich dem Entbindungstermin mit freudigem und doch auch bangen Argosaugen entgegen. Natürlich hat mir Stella dann doch noch ein Schnippchen geschlagen, indem sie mir gar keine rechte Zeit ließ, groß Ängste entwickeln zu können.
Bis zum 21.Februar verliefen alle Kontrolltermine in sehr ruhigen Bahnen, es zeichnete sich keine Bereitschaft unseres geliebten Kindes ab, sich uns zu zeigen, vielmehr wurde scheinbar jede noch so kleine Übungswehe tunlichst vermieden. Ich hatte noch mit allerlei Auswirkungen diverser Erkrankungen zu kämpfen, so dass es nicht ungelegen kam, dass der errechnete Termin bereits seit drei Tagen verstrichen war. Doch nun, vormittags noch einen Kontrolltermin bei meiner Gynäkologin ohne nennenswerte Anzeichen hinter mich gebracht, begann mein Bauch gegen halb zwei nachmittags mit einem leichten Ziehen auf sich aufmerksam zu machen. Ach was! Hibbelignervös rufe ich Bert an und berichte, dass nun in den kommenden Tagen vielleicht unsere Familie endlich ein Gesichtlein mehr bekommt. Voller Zuversicht sage ich unserer kleinen Stella im Bauch, dass wir alles zusammen schaffen werden und sie sich keine Sorgen machen soll.
Wie gewohnt holen wir Merlin an diesem Freitag gegen 15 Uhr von seiner KiTa ab und gehen, weil die Wehen in einer gewissen Regelmäßigkeit spürbar bleiben, nach Hause. Hier angekommen, rufen wir Sabine an und übermitteln den Stand der Dinge. Sabine meint, die Chancen, dass nun die Geburt heute noch beginnt, stehen um die 50/50. Die Wehen können sich nun steigern, können aber genauso gut auch wieder aufhören. Ein leichtes Kribbeln in mir sagt, dass das hier wahrscheinlich eher nicht mehr aufhört…Der Spatz hat so lang ruhig gehalten… Abgemacht wird, dass wir uns wieder melden, wenn die Wehen in einer bestimmten Regelmäßigkeit und Dauer kommen.
Den restlichen Tag verbringen wir spielend zu Hause, ich bade Merlin, wir essen Abendbrot und dies alles wird von regelmäßig wiederkehrenden Wehen begleitet, die jedoch allesamt noch gut aushaltbar sind. Gegen 20Uhr bringe ich Merlin ins Bett, lege mich neben ihn und wache zwanzig vor neun durch dann doch relativ starke Wehenschmerzen auf. Aufgeregt, mit wildem Herzschlag und der letzten Gewissheit, stehe ich langsam auf und tapse leise ins Wohnzimmer. Dort sage ich Adalbert bescheid, dass dieser Abend nun der letzte zu dritt war. Ein wenig warten wir noch, dann rufen wir Sabine an und sagen, dass die Wehen zwar leider nicht die eingeforderte Länge, dafür aber umso herzhaftere Tiefe und auch Regelmäßigkeit haben. Bert begann das Telefonat während ich bereits stöhnend und atmend im Wohnzimmer meine Kreise ziehe, für eine genaue Wehenbeschreibung spreche ich dann noch kurz mit Sabine und wir verabreden uns auf halb elf im Geburtshaus. Nach diesem Gespräch ruft Adalbert bei seinen Eltern an, die über Merlins Schlaf wachen, solange wir im Geburtshaus sein werden. Eine Stunde dauert deren Anfahrt. Für mich hatte es diese eine Stunde in sich, denn jetzt begann der wohlbekannte innigste Schmerz mit seiner kompletten Entfaltung. Mehrmals muss ich mir und Stella zuraunen, dass jede Wehe nur ein einziges Mal kommt und ist die vorbei, ist es eine weniger, bis wir uns sehen.
Merlins Geburt hatte sieben Stunden gedauert und auch wenn alle etwas anderes behaupteten, so bin ich auch nun wieder von der Sieben als Maßstab ausgegangen. Dementsprechend war ich zwar in Sorge, dass wir Oma und Opa zu spät angerufen haben, einfach weil die Schmerzen bereits so stark, die Wehen so intensiv, waren, andererseits sagte mir die –aus der Erfahrung geschulte – Logik, dass doch immer noch genügend Zeit sei, bis es wirklich(!) ernst würde.
Gegen zehn, also 22Uhr, sagte mir mein Unterleib und mein mitleidender Adalbert, „Sei’s drum! Es wird Zeit zu fahren.“, und so liefen wir, die Oma noch kurz begrüßend, dem noch motorlaufenden Auto zu, mit dem uns Opa dann zum Geburtshaus fuhr.
Vor dem Einstieg ins Auto, während der Fahrt, bei der Ankunft am Geburtshaus und beim Aussteigen peitschten Wehen in meinem Bauch. Irrwitzigerweise habe ich mir noch Sorgen gemacht, ob es wohl unangemessen ist, bereits vor dem mit Sabine vereinbarten Termin vor der Tür zu stehen. Denn eine viertel Stunde nach dem Aufbruch, und damit auch eine viertelte zu früh, waren wir an Stellas Geburtsstätte angekommen. Vor der Tür noch schnell innigst eine Wehe veratmet, war Berts Papa wohl froh, wieder fahren zu dürfen und wir, endlich an dem uns für diesen Moment sichersten Ort zu sein. Sabine begrüßte uns herzlich teilnahmvollst und begleitete uns sogleich in das uns so vertraute Geburtszimmer. Unterwegs klärte sie die momentanen Befindlichkeiten ab, beruhigte mich, dass alles gut sei und ich, auf meinen laut geäußerten Gedanken hin, nicht unsicher sein müsse, weil die Fruchtblase noch immer nicht geplatzt sei. Da wir etwas früh da seien, muss sie nur noch schnell aus dem Büro unsere Akte holen, sei aber in zwei Minuten wieder da. Dieser Moment genügte denn auch um, nach dem erneuten Veratmen einer bereits unglaublich starken Wehe, mit einem innerlichen *Peng* die Fruchtblase ins Gedächtnis und zugleich außerhalb der Besorgniszone zu rufen. Kaum angekommen, zog ich mir also bereits die ganze durchnässte Kleidung aus und schritt gen Toilette. Im Hintergrund plätscherte bereits das heiße Wasser in die Badewanne, was mich beglückte, hatte sie mir doch bei Merlins Geburt geholfen, meine verkrampften Muskeln zu lockern und meinen Körper damit etwas Entspannung zu bescheren. Bert hängte die Kleidung über die Heizung und kam dann nach, Sabine war kurz danach auch bei uns. Zwei Wehen, die nochmal an Intensität gewonnen hatten, habe ich mit Adalberts Unterstützung veratmet. Langsam stieg Panik in mir auf, dass ich derartig starke Wehen nicht noch drei bis vier Stunden werde aushalten können-ich ging ja noch stets von der 7-Stunden-Geburt aus. Dass sich diese kopflastige Besorgnis nicht auf meine Atmung auswirkte, konnte Sabine verhindern, indem sie mich aus der stetig höher tönenden (ich nehme an, auch schriller klingenden) Veratmung löste und mir tiefe Töne vorgab. Sogleich löste sich die innere Verkrampfung und ich konnte mich besonnener den folgenden Wehen widmen.
Nur bruchstückhaft kann ich mich an die folgenden Minuten erinnern, die zwar wahnsinnig intensiv waren, dafür nun aber von überraschend losen Erinnerungsspuren geprägt sind.
Im Geburtszimmer wieder angekommen, gab Sabine mir durch die Untersuchung des Muttermundes Hoffnung, indem sie meint, dass dieser schon sehr weit geöffnet ist. Die folgenden zwei Wehen, die ich mich vornüber an Adalbert haltend, veratme, lassen mich erneut daran zweifeln, dass ich diesen Zustand noch über Stunden werde aushalten könne. Die Idee, nun noch in die Badewanne zu steigen, erscheint absurd. Alles tat unendlich weh und wieder musste mich Sabine an meine fördernde Atmung zurückführen und mich zugleich daran erinnern, dem Pressdrang noch nicht nachzukommen. Ich war so damit erfüllt, die Wehen alle nur recht ordentlich und intensiv zu veratmen, dass mir gar nicht die momentane Stufe der Geburt in den Sinn kam zumal ich noch immer von vor uns liegenden Stunden ausging. Mit einer der folgenden Wehen sagt Sabine plötzlich, ich solle nun mitpressen. Und dann ging alles schnell. Mich an Bert haltend, hat es eine Presswehe gedauert bis das Köpfchen zu sehen war und eine weitere Wehe bis unsere Stella Nimuë bei uns lag. Eine knappe halbe Stunde nach der Ankunft im Geburtshaus hatten wir unser kleines Kind bei uns liegen. 3860 g verteilt auf 52 cm Körperlein hatten ab 22.46 Uhr ein von uns über alles geliebtes Gesicht.
Vollständig überlagert von Gefühlen, die sich von so so starken Schmerzen in etwas ganz Zartes wandelten, zuckel ich auf Geheiß von Sabine einige Knielängen nach hinten, so dass unsere kleine Stella nun direkt vor mir liegt und ich sie richtig anschauen kann. Ununuuunglaublich!: Große Augen, die uns bereits anschauten und ihr Händchen an der Wange haltend. Was für ein unsagbares kostbares Glück! Ganz tief bewegt und so dankbar, dass alles gut ist, legen wir uns auf das Bett und genießen die erste Zeit zu dritt.
Im Überschwang durchtrennt Adalbert die Nabelschnur und widmet sich später zusammen mit Sabine und Edith der Erstuntersuchung. Mir ist schon fast egal, als Sabine und Edith mithilfe von Akupunktur die Plazenta zum Ablösen bewegen wollen und diese sich doch noch eine (hebammennervösmachend) geraume Weile Zeit lässt. Die damit verbundenen Wehenschmerzen sind für mich doch nochmal überraschend intensiv, doch schließlich wird auch diese Geburt glücklich zu Ende geführt. Nun müssen wir an nichts mehr denken, nichts mehr machen, als unser kleines Glück in Sprachlosigkeit zu feiern.
Eine Stunde ruhen wir in diesem kleinen neuen Glück. Dann langsam beginnt die Zeit, sich für die Welt da draußen zu wappnen. Ich dusche mich, während Adalbert mit Jule und Edith unser Mädchen auf ihre Perfektion hin betrachtet und anschließend anzieht. Umgeben und eingemummelt von aller Liebe und einer Menge kuscheliger Kleidung ist unser kleiner Schatzspatz gegen das widrige Wetter der neuen Welt gerüstet und wir alle – noch leicht benebelt von der verlebten ausgesprochen intensiven Zeit – treten den Weg in unser Zuhause an. Wo ein kleiner Junge noch unwissend schlafend zum großen Bruder wurde.
Dank an euch, Sabine, Edith, Jule, die ihr uns im Geburtshaus so überaus liebevoll, kompetent und hilfsbereit bei der Geburt unserer Familie gestützt und gestärkt habt. Anders hätten wir es nie haben wollen.
Adalbert & Gabi mit Merlin & Stella