Zwei Wunder und ein Happy End!

 

Ich bin nun bei 41+0, der vierte Geburtstag von einer Freundin meines Sohnes ist lautstark in vollem Gange und bei mir macht sich immer mal wieder ein leichtes Ziehen bemerkbar. Nicht zu ignorieren, aber auch nicht wirklich ernst zu nehmen.
Nach dem ich nun schon drei Wochen länger als bei meinem Sohn auf mein kleines Wunder warte, habe ich die Hoffnung fast aufgegeben, dass Madame noch von selbst auszieht. Und überhaupt, nach der Geburt von ihm ist es ohnehin nicht ganz unwahrscheinlich, dass ich sowieso wieder im Krankenhaus lande. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, ist meine Laune mittlerweile ganz schön pessimistisch. Was nicht ganz klar ist, ob es an der Warterei und den inzwischen total nervösen Familienmitgliedern oder aber an den zunehmenden Rückenschmerzen liegt. Zum Glück habe ich heute morgen noch kurzfristig einen Termin bei meinem Physiotherapeuten bekommen. Es ist nun später Nachmittag, nicht mehr lange bis 19 Uhr und dann sind die Rückenschmerzen hoffentlich passé. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und verweile einen Augenblick bei meinem Sohn. Bald ist er der „Große“ denke ich, lege eine Hand auf meinen enormen Bauch und schweife in Gedanken ab. Das laute Spiel der Kinder verstummt langsam in meinen Ohren und ich bin in der Zeit drei Jahre zurückgereist.

Es ist Mittag, die Sonne brennt und die Kirschen endlich eingekocht. Gerade räume ich die letzten Utensilien zusammen und gehe in die Hocke um etwas aufzuheben, da ist mit einem Mal meine Hose nass. Ich wundere mich über mich selbst – Kann ich nun womöglich das Wasser nicht mehr halten? – schießt es mir durch den Kopf, aber in der gleichen Sekunde wird mir klar: Das war der Blasensprung. Die Geburt geht los! Zwei Wochen vor dem Termin und ganz ohne jegliche Wehe. Ich ziehe mich trocken an und greife mit leicht zittrigen Händen zum Telefon. „Hebamme 1“ ist seit Monaten in meinem Handy eingespeichert, dass ich die Nummer nun zum ersten Mal wähle macht mich noch nervöser, als ich eh schon bin. Edith geht ran und sofort ist ein Teil meiner Aufregung wieder verschwunden. Wir besprechen die Lage und verabreden und für den späten Nachmittag in Bielefeld. Zusammen mit meinem Mann fahren wir schließlich zum vereinbarten Termin. Noch immer keine Wehen zu merken. Das CTG weiß es aber besser und zeichnet leichte Wehen auf. Wenn ich genau in mich hineinfühle merke ich sie nun sogar. Es bleibt trotzdem noch Zeit. Mit dem Rezept für den sagenumwobenen Wehencocktail fahren wir wieder nach Hause.
Ein drittel des Cocktails ist getrunken, als die Wehen mittlerweile doch deutlich spürbarer sind und etwa zwölf Stunden nach Blasensprung machen wir uns wieder auf den Weg zur Werther Straße. Es soll jedoch noch etwa 5 Stunden, diverse Turnübungen und ein Bad dauern, bis mein kleines Wunder endlich da ist. Zusammen mit der aufgehenden Sonne bringe ich meinen kleinen Sohn auf die Welt und kann es kaum fassen – Wir sind nun zu dritt! Diesen Moment mit „überglücklich“ zu beschreiben kommt mir fast wie die Untertreibung des Jahrhunderts vor. Die nächste Stunde sollte jedoch die Stimmung deutlich trüben. Alle Tricks und das geballte Wissen von Edith und Johanna wollen meine Plazenta leider nicht überreden diesem wunderbaren Kind zu folgen. Statt kuscheln und kennenlernen liege ich nun in einer, wie mir scheint, schier unfassbaren Menge Blut und meine Kraftreserven sind spürbar aufgebraucht. Trotz allem fühle ich mich in keiner Sekunde unsicher, Edith und Johanna wissen was zu tun ist. Sie handeln ruhig, gezielt und schnell um mich ins nahegelegene Klösterchen zu verlegen. Schade, denke ich, so hatte ich mir die erste Zeit mit meinem Sohn nicht vorgestellt und kämpfe mit meinem Bewusstsein. Immer wieder rauscht es in den Ohren und ich befürchte Ohnmächtig zu werden.

„Wo entbindest du nochmal?“ – die Frage einer der Omas des Geburtstagskindes katapultiert mich wieder in die Gegenwart. Ach ja, der Kindergeburtstag… „Im Geburtshaus in Bielefeld.“ sage ich voller Überzeugung. Was folgt sind die üblichen Fragen. Und da sind nur Hebammen? Meinst du wirklich, du kannst danach sofort wieder nach Hause gehen? Hast du dir das gut überlegt? Ohne zu zögern kann ich all diese Fragen mit „Ja“ beantworten. Das Geburtshaus ist ein toller und wundervoller Ort. Nicht eine einzige Sekunde habe ich in den letzten drei Jahren bereut, dort meinen Sohn

zur Welt gebracht zu haben. Die Arbeit, die das fantastische Team von Hebammen dort leistet, ist einfach unglaublich. Ich wiederhole diese Sätze zum gefühlt einhundertsten Mal seit Beginn der Schwangerschaft. „Und was ist, wenn etwas passiert?“ – „Kein Problem, das habe ich schon getestet. Das Klösterchen ist nur fünf Minuten entfernt.“ sage ich mit einem Lächeln auf den Lippen und meine es absolut ehrlich. Ich habe keine Angst vor dem, was da in Kürze auf mich zukommt, aber ich werde dennoch nervös, wenn ich an die eingewachsene Plazenta von vor drei Jahren denke. Wird dieses mal alles gut gehen?

Angesichts meines nahenden Physiotermins verlassen mein Sohn und ich den Geburtstag. Wir werden verabschiedet mit guten Wünschen und gedrückten Daumen. Keiner der Anwesenden, mich eingeschlossen ahnt, dass die kleine Schwester in nicht mal vier Stunden auf der Welt sein wird. Auf dem Rückweg wäge ich trotzdem ab, ob ich den Termin wahrnehmen soll oder nicht. Was, wenn alles nur falscher Alarm ist? Wie ich mich kenne, ärgere ich mich dann nicht dort gewesen zu sein. Zuhause angekommen wird das Ziehen allerdings doch so stark und regelmäßig, dass ich mich gegen den Termin entscheide. Gute Wahl, statt um sieben auf der Behandlungsliege zu liegen, tigere ich nämlich durch das Haus und treffe Vorkehrungen für die nächsten Stunden.
„Hebamme 1“ ist immer noch in meinem Handy gespeichert und wird besetzt von Marisa. Sie habe noch eine Stunde Dienst und übergebe dann an Edith. Eine Stunde dauert es alle Mal noch, denke ich und freue mich wieder Edith an meiner Seite zu haben. Ich sollte nur zum Teil Recht behalten, denn gegen acht Uhr wählt mein Mann die Nummer nochmal und kündigt Edith an, wir machten uns nun auf den Weg. Zirka dreißig Minuten Fahrzeit liegen vor mir und ich erinnere mich gut an die letzte Autofahrt unter Wehen. Noch ist alles gut auszuhalten, aber ich bin sehr dankbar für alle Atemübungen von meinem Yogakurs.
Gegen viertel vor neun treffen wir am Geburtshaus ein und finden – keinen Parkplatz! Kurzerhand parkt mein Mann in zweiter Reihe und holt Edith aus dem Haus. Wie sich nun herausstellt hätten wir keine zehn Minuten später fahren dürfen. Direkt vorm Auto muss ich eine Wehe veratmen, als die Fruchtblase platzt. Glück gehabt! Edith scheucht mich freundlich aber bestimmt ins Haus, sie ahnt längst, was nun auf mich zukommt. Kaum im Flur angekommen beginnen die Presswehen. Mein Mann muss noch das Auto umparken und ich befürchte, er wird es nicht mehr rechtzeitig zur Geburt seiner Tochter schaffen. Nachdem die Kleine so lange hat auf sich warten lassen, geht nun alles rasant schnell. Eine dreiviertel Stunden nach Ankunft ist die kleine Dame auf der Welt, aber ich weiß ja aus Erfahrung – noch ist die Geburt nicht vorbei. Auch wenn ich mich schier unglaublich über das erneute kleine Wunder freue, bange ich auch ob die Plazenta wohl kommen wird. Mit einem Blick in Ediths und Johannas Gesicht stelle ich fest, den beiden geht es gerade ganz ähnlich wie mir. Die Erleichterung die im Raum liegt als sie endlich da ist, ist nahezu mit Händen greifbar.
Die folgenden drei Stunden verlaufen genauso entspannt und schön, wie ich es mir vor drei Jahren ausgemalt hatte. Alle Sorgen und böse Gedanken die mich wegen dem „blöden Ding“ plagten, sind vergessen und ich kann einfach nur dieses einmalig tolle Ereignis genießen. Wir sitzen in gemütlicher Runde zusammen, essen Pizza, bestaunen das kleine Wunder und erzählen uns Geschichten. Ein eingespieltes Team möchte man meinen und mir wird bewusst, wie viel Glück ich hatte wieder Edith und Johanna an meiner Seite gehabt zu haben. Ich bin dankbar für die außergewöhnliche Arbeit aller Hebammen des Teams, aber ich muss auch zugeben – diese beiden Frauen sind nicht erst seit heute Abend meine persönlichen Heldinnen. DANKE!

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